Freitag, 2. Dezember 2011

Die Machtergreifung der Technokraten

In Italien und Griechenland werden erstmals technokratische Regierungen installiert – Ein Modell mit Zukunft?

Am 9.November erklärte der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou seinen Rücktritt; drei Tage später sein italienischer Amtskollege Silvio Berlusconi. Beide wurden Opfer der gegenwärtigen Schuldenkrise in Europa. Während Papandreou sein eigenes Volk mit drakonischen Maßnahmen gegen sich aufbrachte, um an Hilfsgelder zu kommen, ist der wegen seiner Affären unbeliebte Berlusconi über den Zinsanstieg italienischer Staatsanleihen gestolpert. An ihre Stelle treten nun die Regierungen der parteilosen Wirtschaftsprofessoren Loukas Papademos und Mario Monti, bestehend aus Experten und Intellektuellen. Somit wird nun erstmals in Europa die Technokratie instauriert.

Gab es 1920 in der Sowjetunion und 1933 mit dem „New Deal“ bereits erste technokratische Vorhaben und Bewegungen, wurde die Technokratie, eine Politik mit rationaler und effektiver Planung und Durchführung, bis heute jedoch noch nie angewandt. Das Prinzip scheint simpel: Keine parteipolitischen Blockaden, keine leeren Versprechungen, um wiedergewählt zu werden, stattdessen die Umsetzung der von der EU Führung geforderten Sparpakete und eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation, um damit wieder aus der Krise herauskommen.

Soweit die Theorie. Die Praxis sieht jedoch weitaus weniger euphorisch aus und offenbart die Kehrseite solcher Regierungen: Sie sind weder demokratisch vom Volk gewählt, noch bestätigt und treffen somit unpopuläre Entscheidungen, die vielleicht rational sein mögen, ohne jedoch die Meinung des Volkes zu beachten. Politiker hingegen können durch das Volk unter Druck gesetzt werden, was sie zum mehr Transparenz und Konsensfähigkeit zwingt.

Zudem lernt die Wirtschaft momentan ihre Grenzen kennen. Ganze Modelle, auf die sich Ökonomen jahrelang stützten, sind heute mit einem mal nicht mehr aktuell. Ben Bernanke, ehemaliger Professor an der Universität Princeton und heutiger Präsident der US-Notenbank FED, musste das 2007 erfahren, als er mit seiner Leitzinserhöhung eine Kreditklemme bei den Banken auslöste, die 2008 ihren Höhepunkt mit der Pleite von Lehman Brothers erreichte. Auch Technokraten sind nicht Fehlerfrei.

Hinzu kommt, dass die beiden vermeintlichen Retter für die Krise mitverantwortlich sind, in der ihre Länder heute stecken. Papademos führte als Gouverneur der griechischen Zentralbank den Euro in Griechenland ein, obwohl die Maastricht-Kriterien nicht erfüllt wurden. Monti ist als Berater von Goldman Sachs mitverantwortlich für den Verkauf von CODs, einer Ansammlung hochriskanter Kredite, an Europa, was ausschlaggebend für die Übertragung der Kreditkrise in den USA auf Europa war.

Dementsprechend skeptisch reagierten die Märkte auf die Amtseinführungen, die eigentlich für mehr Vertrauen in den Euro sorgen sollten und die diesen Monat, nach der irrtümlichen Herabstufung Frankreichs durch die US Ratingagentur Standard&Poor’s, um so dringender benötigt wird.

Aller Kritik zum Trotz: Man darf gespannt sein auf die Ergebnisse der neuen Ministerpräsidenten und des noch unverbrauchten politischen Systems.


Nino Zebiri

Samstag, 26. November 2011

Fankultur auf dem Prüfstand - ein Kommentar zur verhängten Strafe gegen die SG Dynamo Dresden

Das DFB-Sportgericht hat die SG Dynamo Dresden von der DFB-Pokalsaison 2012/2013 ausgeschlossen. Eine drakonische Strafe, deren Ursachen wohl zu großen Teilen in der derzeit im Großteil der Medienlandschaft vorherrschenden populistischen Berichterstattung zu finden ist. Keine Frage: Viele der Dynamo Anhänger haben über die Strenge geschlagen. Ein Stadionsturm ist genauso inakzeptabel wie Vandalismus im Stadion. Dennoch muss differenziert werden: Das Zünden von Pyrotechnik ist keinesfalls mit Gewalt und Ausschreitungen gleichzusetzen. Die vielerorts beschworene Gewaltwelle kann man sicherlich aus verschrobenen Statistiken heraus interpretieren (empfehlenswert hierzu ist zum Beispiel der Artikel „Das Ende der Eskelation“ in der aktuellen Ausgabe des 11 Freunde Magazins). Jedenfalls scheint es momentan schlicht im Trend zu sein, Fans aus der Kurve pauschalisiert und ohne jede Differenzierung zu Gewalttätern abzustempeln. Diese Welle der populistischen Berichterstattung zieht mit dem bereits angesprochenen Urteil gegen die SGD sowie dem Rückzug des Hauptsponsors des FC Hansa Rostock nun erste negative Folgen für die betroffenen Vereine nach sich. Das Thema an sich ist zu komplex, um es nun in aller gerechtfertigten Bandbreite zu kommentieren. Gerne bin ich aber bereit, mögliche Reaktionen auf diesem Blogeintrag mit einem Diskussionseinstieg zu erwidern. Jetzt im Moment möchte ich mich jedoch darauf beschränken, auf die Aussagen von DFB-Sportrichter Hans E. Lorenz (verantwortlich für das Dynamo-Urteil) einzugehen:

„Fußball ist zur Zeit eine der größten Bühnen unserer Gesellschaft. Auf dieser Bühne suchen viele einen Platz oder eine Nische, das gilt auch für gewaltbereite Menschen. Nie war die Gewalt in unseren Fußballstadien größer als in diesem Jahr“

Nie war die Gewalt größer? Wie gesagt … wenn man sich lediglich auf verfälschte Statistiken beschränkt – ja, vielleicht. Es ist allerdings weithin bekannt, dass die Hooliganphase im deutschen Fußball weitgehend beendet ist. Und, auch wenn die Ultrakultur sicherlich nicht aus Chorknaben besteht (diesen Vergleich greife ich von Cherno Jobatay aus seiner Sendung „log-in“ auf), die meisten Gesetzesverstöße von Ultras sind doch in einer anderen Kategorie einzuschätzen als Prügelorgien von Hooligans. Was nicht heißen soll, dass ich beispielsweise das Stehlen von Schals gutheißen will – hier sollte sich die Betroffenen der Ultraszene hinterfragen, ein Prozess, der momentan durchaus zu beobachten ist. Kurz gesagt: Viele momentan verwendete Superlative sind schlichtweg Unfug. Wenn dann doch wirklich einmal wieder üble Ausschreitungen und körperliche Gewalt in Fußballstadien auftauchen –
wie beim DFB-Pokalerstrundenspiel zwischen dem BFC Dynamo und Kaiserslautern – geht dies, aufgrund des ohnehin allgemein vorherrschenden Paradigmas der angeblichen Gewaltexzesse bei Fußballspielen, fast unter. An dieser Stelle ist auch zu hinterfragen,
weswegen der BFC nur 2 Geisterspiele in der Liga als Strafe aufgedrückt bekam, Dresden nun allerdings diese ungleich härtere Strafe erfährt – ein klarer Anhaltspunkt, dass Richter Lorenz sein Urteil größtenteils aus populistischen Gründen gefällt hat. Dazu beigetragen hat wohl auch der Umstand, dass die Partie gegen Dortmund live im Fernsehen übertragen wurde, während das Interesse am Spiel zwischen dem BFC und dem FCK doch eher gering ausfiel.

„Tote gab es noch nie in unseren Stadien. Wenn es so weiter geht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es Tote gibt.“

Ein dahergesagter Satz, der seinesgleichen sucht. Zumal Herr Lorenz zu verdrängen scheint, dass es bereits Todesfälle im Umfeld deutscher Fußballspiele zu beklagen gab, wenn auch nicht im Stadion direkt: Ich nenne hier die Fälle Mike Polley oder Adrian Meleika, gehe aber an dieser Stelle nicht näher darauf ein. Wer möchte, kann sich natürlich gerne über das Netz oder andere Quellen näher informieren. Woher Herr Lorenz aber die momentane Befürchtung zieht, es könnte demnächst zu Todesfällen in deutschen Stadien kommen, entzieht sich meiner Erkenntnis. Vermutungen meinerseits wären reinste Spekulation, weswegen ich nur den Schluss ziehen kann: In dieser Form ist diese Aussage reinster Populismus auf niedrigstem Stammtischniveau.

„Nach der Tragödie von Heysel wurden alle englischen Klubs für fünf Jahre von der europäischen Bühne verbannt, der FC Liverpool musste noch zwei Spielzeiten länger büßen. Nach diesem Urteil hat der englische Fußball sein Problem in den Griff bekommen.“


Die Tragödie von Heysel, bei der 39 Menschen starben und 454 verletzt wurden, mit den Vorkommnissen von Dortmund zu vergleichen ist - wer möchte darf sich aus folgender Reihe von Adjektiven sein passendes heraussuchen – übertrieben, anmaßend, dreist, unverhältnismäßig, unangemessen oder schlicht hirnrissig. Die Ursachen von Heysel sind zwischenzeitlich gut analysiert und aufgearbeitet wurden – das nicht mehr zeitgemäße Stadion spielte seine Rolle, aber mit Sicherheit auch die damals vorherrschende Hooligan-Kultur in England. Auch wenn es viele Medienvertreter und sogenannte Sicherheitsexperten nicht einsehen wollen: Die Charakteristiken von Hooligans sind nicht 1:1 auf die heute in den Kurven dominanten Ultras übertragbar. Hier wäre es endlich einmal an der Zeit, dass Fachleute aus der Gesellschaft (wie die Verantwortlichen der Fanprojekte) und Wissenschaft (z.B. die Fanforscher Gunter A. Pilz oder Jonas Gabler) aktiver in den Diskussionsprozess einbezogen werden – medial wie intern.


Als Fazit bleibt die Erkenntnis, dass der ja von DFB und Innenministerium angeblich gesuchte Dialog mit den Fans noch weit entfernt scheint. Die Strafe gegen Dynamo Dresden ist jedenfalls nicht als Signal für gewünschte Gespräche, sondern eher als Zugeständnis an alle Populisten zu betrachten. Dass Populismus siegt, ist ja leider ohnehin in allen politisch bedeutsamen Bereichen (zu denen die „große Bühne Fußball“, wie Lorenz es nennt, ja mittlerweile unzweifelhaft auch gehört) keine Seltenheit. Es bleibt dennoch die Hoffnung, dass langfristig betrachtet (und sobald das Thema Fangewalt dem medialen Brennpunkt wieder entwichen ist) sich letztendlich doch Vernunft durchsetzt und gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird, die allen am Fußball interessierten Seiten gerecht werden. Niemand behauptet dass dies einfach sein wird. Aber einfach hatten es seit jeher ja ohnehin nur die Populisten…

Benjamin Schaller

Donnerstag, 17. November 2011

Kommentar zum geforderten NPD-Verbot

Nachdem sich am Wochenende die rechtsextremen Terroristen Uwe M. und Uwe B. das Leben nahmen, stellte sich die Dritte im Bunde, Beate Z., freiwillig der Polizei. Die Taten der Zwickauer Terrorzelle bringen dieser Tage eine erneute öffentliche Debatte an die Oberfläche, die bereits seit mehreren Jahren verfolgt, seit 2003 aber nicht ernsthaft weiter diskutiert wurde. Es geht um ein Verbot der Rechtsradikalen Partei NPD.

Es ist ein klassischer Reflex in Deutschland, dass man nach Katastrophen immer Regulierungen und Restriktionen fordert. Nach dem Amoklauf in Winnenden hieß es damals von allen Seiten, man müsse schärfere Waffengesetze einführen und am besten alle Computerspiele, die Gewalt beinhalten, vom Markt nehmen. Als uns Fukushima erreichte, dachte man plötzlich wieder darüber nach, ob man nicht die Atomkraft abschalten solle und auf Alternativ-/Regenerative Energien umsteigen sollte. Nun folgt also die erneute Debatte, die nach rechtsextremer Gewalt angestoßen worden ist, nämlich ob man die rechtsextreme NPD-Partei verbieten kann/muss.

Um es vorweg zu nehmen, auch ich halte die NPD für eine menschenverachtende und in allem Maße verfassungswiedrige und wiederwärtige Partei. Allein schon wie sie das Thema Rassentrennung propagieren, macht mich sprachlos. Seit Uhrzeiten haben Menschen das Verlangen gehabt Strukturen und Hierarchien einzuführen. Und eine der billisten Formen ist es, dass über die Hautfarbe zu definieren, wer in einer Gesellschaft etwas Wert ist. Eine politische Partei, die sich mit dieser inhumanen Ideologie am Rande der Gesellschaft bewegt und sich nicht zuletzt durch Wahlkampfpauschalen, und damit Steuergeldern finanziert, ärgert mich maßlos.

Aber hilft ein Verbot? Ich glaube Nein.
Wenn die Rot-Grüne Regierung und der Bundestag 2003 mit ihrem Verbotsantrag der NPD damals durchgekommen wären, würden die Täter der Zwickauer Terrorzelle jetzt noch leben? Abermals, leider Nein. Denn die politische Ideologie, die braune Saat, die in den Köpfen der Täter verpflanzt war, sie ist bereits vorher aufgegangen. Braunes Gedankengut mitten unter uns, weil der Verfassungsschutz versagt hat.

Das Bundesverfassungsgericht weigerte sich 2003 dem Antrag eines NPD-Staatsverbots stattzugeben, bzw. weiter zu verfolgen aufgrund von „fehlender Staatsferne“ der Neonazipartei. Die Verfassungsrichter mutmaßten also, dass die Hetztätigkeit der NPD auch auf das Konto der V-Männer zurückzuführen sei. Wissen wir denn, ob das heute anders ist?
Über die dubiose Rolle des Verfassungsschutz müsste an dieser Stelle nochmal explizit eingegangen werden. Fest steht aber, dass wenn die Regierung sich jetzt um ein erneutes NPD-Verbot bemüht, auch mächtig auf die Nase fliegen könnte. Denn sollte das nicht gelingen, wäre das eine Katastrophe für uns und ein unglaublicher Propaganda.-Erfolg für die NPD und Wasser auf die Mühlen der kahlrasierten Köpfe. Wollen wir das wirklich?

Die Frage die sich stellt: Verschwindet mit der Partei auch jegliches Gedankengut, dass mit jener verbunden wird? Die entsprechenden Wege und Mittel werden diese Leute immer besitzen, um ein Ventil für ihre politische Ideologie zu finden. Und gerade aus historischer Sicht bedarf es keiner langen Vorrede, dass unterdrückte politische Meinungen in Deutschland schon ganz andere Wiederauferstehungen gefeiert haben. Nicht zuletzt bin ich aber auch der Meinung, dass es für die Gesundung einer Demokratie unabdinglich ist, auch unpopuläre Meinungen, ebenso wie Parteien, zu ertragen. Schließlich bietet sich hier auch die gesellschaftliche Debatte an, sich mit Themen aktiv zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Wenn wir das nicht mehr hinbekommen und nur noch über Verbote und Regulierungen reden wollen, werden wir Opfer unserer eigenen Idee einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.  

Denny Neidhardt

Donnerstag, 3. November 2011

Die Wahl vor der Wahl

Primaries – Neuer Trend in der Politlandschaft

Es waren emotionale Momente Mitte Oktober an der rue de Solférino in Paris, Sitz der Parti Socialiste (PS). Während Ségolène Royal, Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten von 2006, die Tränen kamen nach ihrer überraschend eindeutigen Niederlage (6%) im ersten Wahlgang der Vorwahlen, ließ sich François Hollande eine Woche später mit 56,6% feierlich nach dem zweiten Wahlgang als offizieller Präsidentschaftskandidat küren. Gleichzeitig war es eine Premiere: zum ersten Mal fanden Primaries (frz. primaires) nach amerikanischen Vorbild auf französischen Boden statt, die auch für Nichtmitglieder der Sozialisten zugänglich waren. Während bisher nur Italien diesen, aus demokratischer Sicht, revolutionären Schritt in Europa gewagt hat, fanden die Vorwahlen der PS in Frankreich bisher nur für Parteimitglieder statt, die in der Regel den Parteivorsitzenden als Präsidentschaftskandidaten bestimmen. Mit François Hollande gilt diese „Regel“ nun nicht mehr.

Begründet wurde das Fehlen von Vorwahlen in Europa bisher häufig mit der Existenz von Koalitionen, die als „ausreichend demokratisch“ gelten, oder zu hoher Kosten für die jeweiligen Parteien. An Beteiligung - ein weiterer Kritikpunkt - hingegen mangelt es nicht. Nahmen doch 2,7 mio. Wähler an den ersten offenen französischen primaires teil, mehr als 14-mal so viele wie noch bei den internen Vorwahlen 2006. In den USA hingegen sind solche Wahlen voll im politischen System integriert. Aktuell liefern sich 10 Kandidaten in der Republikanischen Partei ein Rennen, um 2012 gegen Barack Obama antreten zu können.

Währenddessen haben Primaries den Vorteil, dass vorher weitesgehend unbekannte Politiker zu Wort kommen können, die Minderheiten in ihren Parteien repräsentieren. So erreichte Arnaud Montebourg mit seiner Idee eine neue Verfassung in Frankreich einzuführen, bei den Vorwahlen ganze 14%. Die Parteien öffnen sich mehr der Bevölkerung indem diese eine wegweisende Entscheidung, wie der Präsidentschaftskandidatur, mittreffen kann.
Dass auch (parteiinterne) Primaries in Deutschland eingeführt werden sollen, dafür sprach sich kürzlich der SPD Vorsitzende Sigmar Gabriel aus - Und wurde sofort scharf kritisiert, er suche doch nur eine alibidemokratische Bestätigung für seine Kanzlerkandidatur 2013. Werden sie jedoch offen und frei ausgetragen, sind Primaries das Fundament für eine moderne und fortgeschrittene Demokratie.

Nino Zebiri

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Gaddafis Tod – (k)ein Sieg für die Demokratie!?

Libyen feiert seine Freiheit. Die Bevölkerung fühlt sich erlöst vom diktatorischen Machthaber Gaddafi, der unter bislang als diffus anzusehenden Umständen durch einen Kopfschuss getötet wurde. Doch ist der Tod Gaddafis als solcher wirklich als Triumph für die Rebellen zu bewerten? Das Ziel der neu zu bestimmenden poltischen Führung sowie des libyschen Volkes sollte es sein, einen gerechten und demokratischen Rechtsstaat zu schaffen. Wäre es in Anbetracht dessen nicht das weitaus stärkere Signal gewesen, dem Despoten Gaddafi einen fairen Prozess zu gewähren?

Die unklaren Umstände dieses letzten Gefechtes von Sirte, welche aller Voraussicht nach nie wirklich aufgeklärt werden (es sei denn, ein wiedererstarktes WikiLeaks nehme sich der Sache an…), können die stattgefundene Hinrichtung Gaddafis nicht wesentlich verschleiern. Ein solcher Umgang mit politischen Verbrechern kann in meinen Augen nicht der richtige Weg sein. Wenn ein Land aus der Autokratie herausbrechen und die Brücke zur Demokratie bauen möchte, sollten diese ersten Schritte nicht mit Instrumenten der Diktatoren erfolgen – und zu solchen Instrumenten zählen auch Gewalt und Tötung von politischen Feinden.

Hier stellt sich die allgemeine Frage, wie die, sich als aufgeklärt und modern ansehende, westliche Welt mit Personen wie Gaddafi umgehen soll. Sie vor Gericht bringen, wie Slobodan Milosevic? Unmittelbar ihren Tod erzwingen, wie bei Osama bin Laden? Oder, was hier wohl als eine Art Mittelweg zu betrachten ist, gefangen nehmen und nach dem Prozess das Todesurteil vollstrecken, geschehen beispielsweise bei Saddam Hussein. Meiner Meinung nach kann es nur einen richtigen Weg geben: Mit der Todesstrafe, und letztendlich kann man davon ausgehen dass Gaddafi und bin Laden gewissermaßen auch von den jeweiligen Regierungen zum Tode verurteilt wurden, baut sich der Staat eine gewisse Allmacht auf und stellt sich auf eine Stufe mit Verbrechern. Gerade diese Allmacht ist es jedoch, die die Revolutionen in Libyen sowie anderen nordafrikanischen Staaten erst herausgefordert hat. Gleiches mit gleichem zu bekämpfen führt nicht in die gewünschte bessere Welt, sondern in einen Kreis.

Dass die Übergangsregierung die Chance verpasst hat, Gaddafi gefangen zu nehmen und seine lange Regentschaft vor Gericht aufzuarbeiten, muss natürlich nicht heißen, dass sämtliche Demokratiebewegungen nun ins Stocken geraten. Aber für deren Beschleunigung sowie der Bestätigung der Glaubhaftigkeit der Übergangsregierung (ein nicht zu unterschätzender Faktor, gerade in durch Korruption gebeutelten Regionen wie den nordafrikanischen Staaten) wurde hier ein Bärendienst erwiesen.


Benjamin Schaller

Dienstag, 18. Oktober 2011

Hallo Alice,

Zunächst mal möchte ich mich für die Unannhemlichkeit meiner grob unwürdig-maskulinen Anrede entschuldigen. Aber wie ich Ihrem Blog entnehmen kann, pflegen Sie diese Art der Eröffnung ja immer sehr gerne, sobald Sie Ihre Feindbilder mit Ihrer Feministinnen-Rhetorik denunzieren. Siehe auch Hallo Charlotte (Roche), Hey Bushido, Liebe Bischöfin Käßmann etc. Nun denn.

Zu meinem Bedauern konnten wir leider unser Gespräch nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit führen, weshalb ich mich gezwungen sah, Ihnen dieses virtuelle Schreiben zu übermitteln. Vor ca. zwei Monaten machte ich eine große Entdeckung, als ich mitbekam, dass Sie Ihre Autobiographie veröffentlichen werden. Aber damit noch nicht genug. Zudem wollten Sie die Buchveröffentlichung in Berlin, im deutschen Theater vorstellen. Was für mich quasi ein Heimspiel bedeutet, wenn, ja wenn da nicht diese komische Gebühr im Wert von zehn Euro von nöten gewesen wären, um die Ikone und das Aushängeschild des Feminismus einmal live zu sehen.

Vielleicht hätte ich mir das sogar gegönnt, hätten wir im Vorfeld die Möglichkeit gehabt uns über Ihren Lebensweg zu unterhalten. Zur Erinnerung: Etwa 1 ½ Monate vor Ihrer Buchpräsentation ging eine Interviewanfrage von DNP heraus, in der wir Sie baten sich für unser Magazin 20.Minuten Zeit zu nehmen. Doch aus dem Vorhaben wurde leider nichts. Es kam nicht mal eine Rückmeldung. Das hat uns innerhalb der Redaktion ziemlich betroffen gemacht, schliesslich befinden wir uns mit unseren Magazinen doch beide an den Rändern des guten Geschmacks. Sie mit Ihrem Emma(nzen)-Blättchen, wir mit unserem Polit-Untergrundmagazin.

Ist Feminismus eigentlich ein Premium-Produkt geworden? Ich gebe zu, dass ich es zunächst für einen Tippfehler gehalten habe,allenfalls für ein Jahresabo der Emma, als ich gelsen habe, dass es zwei Ausgaben der Emma für erschwingliche zehn Euro zum Kennenlernenpreis gibt, anstatt der Marktüblichen 9,80 pro Heft! Sind Emma-Leserinnen previligierter als der Rest? Was sind das für Leute, die dafür ein Magazin kaufen, um Literatur aus dem letzten Jahrhundert zu lesen. Ehrlich gesagt finde ich den Feminismus, in seiner heutigen Form, überholt und abgestumpft. Aber dazu nächstes mal mehr.

Scheinbar sind Sie, liebe Frau Schwarzer, mit dem Feminismus salonfähig geworden, bzw. haben sich so sehr damit vermarktet, dass es für sie nicht mal mehr Ansätze des Fremdschämens gibt, wenn Sie Kolumnen für die auflagenstärkste Tageszeitung des Springer-Verlags schreiben. Wohlgemerkt, wenn man Jahrzente lang für die Rechte der Frauen kämpft, gegen Unterdrückung und den ganzen anderen Unfug, macht man sich schon sehr unglaubwürdig, wenn sich zehn Zeilen unterhalb Ihrer Kolumne, Angelina aus Baden-Baden von ihrer allerbesten Seite zeigt. Warum geben Sie dann nicht gleich dem Playboy noch ein Interview? Gut zahlen sollten die doch wohl können.

Die Schlussfolgerung ist ziemlich simpel. Sie haben sich verkauft. Sie haben sich als Produkt an die Mechanismen des Geschäfts verkauft. Läuft Ihr Magazin denn so schlecht, dass Sie jetzt bereits Autobiographien und Arrangements bei anderen Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Sendern verkaufen müssen? Da sind mir meine Gebühren-Gelder zu schade, als dass ich sie jede Woche bei Maischberger sitzen sehen muss. Wobei selbst bei Themen, zu denen sie gar keinen Bezug haben, eingeladen werden. Wortstark meldet sich dann Meinungsmacherin Schwarzer zu Wort und verkündet zum Thema Guttenberg, dass „Titelsucht ein deutsches Phänomen“ sei. Wo soll das noch enden? Wie weit sind Sie noch bereit die Grenzen des guten Geschmacks auszureizen?

So viel zu Ihnen. Nächste Woche kommt der Feminismus.

Lars Flinter

Sonntag, 25. September 2011

Westerwelles Versteckspiel

Die internationale Finanzkrise, sowie die drohende Pleite Griechenlands, scheinen momentan einige der wichtigsten Ressorts der deutschen Bundesregierung pausenlos zu beschäftigen. Wirtschaftsministerium, Finanzministerium, Außenministerium... Außenministerium? Während von den Damen und Herren Merkel, Schäuble oder Rösler täglich ein neuer Wasserstand zu vernehmen ist, hat sich das einstige liberale Alphamännchen Guido Westerwelle aus dem politischen Rampenlicht nahezu gänzlich zurückgezogen. Letztmalig auffällig wurde Westerwelle durch seine Äußerungen zum nahenden Ende des libyschen Bürgerkrieges - und sorgte damit, wie ohnehin des Öfteren in der mittlerweile knapp zweijährigen Amtszeit, eher für Kopfschütteln als Anerkennung.
Die Gründe für Westerwelles derzeitige kommunikative Enthaltsamkeit lassen viel Raum für Spekulationen: Ist es die Erleichterung, dass mittlerweile Philipp Rösler die Rolle des gelben Buh-Männchens im stets wenig souveränen Regierungsbündnisses übernommen hat? Ist nach 30 Jahren in der Berufspolitik eine gewisse Amtsmüdigkeit eingetreten? Oder reifte mittlerweile die Erkenntnis, dass Westerwelle sich mit der Annahme des Postens als deutscher Chefdiplomatiker schlicht überschätzt hat und sein Einmischen in die aktuellen Debatten ohnehin wenig ertragreich wäre? Sicher, ein starker Außenminister stünde Deutschland in einer internationalen Krise zweifellos gut zu Gesicht, dennoch bleibt die Erkenntnis, dass Westerwelle mit seinem Versteckspiel zwar nichts richtig, aber auch - und das ist das eigentlich Neue - nichts wirklich falsch macht.

Benjamin Schaller