Montag, 23. April 2012

Lasst uns die Macht übernehmen


François Hollande war der strahlende Sieger des ersten Wahlgangs um das Präsidentenamt in Frankreich. Mit annähernd 29% fuhr er einen symbolisch wichtigen Erfolg ein und ebnete sich somit den Weg für eine absolute Mehrheit im zweiten Wahlgang gegen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy.

Der wahre Sieger des ersten Urnengangs hieß jedoch Jean-Luc Mélenchon. Seine Kandidatur für die Linksfront kostete der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen entscheidende Stimmen im Arbeiterlager, die sie auf Augenhöhe mit Hollande und Sarkozy gebracht hätte. Als abtrünniger Sozialist der seine eigene Partei gründete, schaffte er es bei seiner ersten Wahl direkt auf 11,7%, die im Vergleich zu den ihm vorhergesagten 15% als enttäuschend wenig erscheinen. Kein anderer Kandidat hat es jedoch geschafft im französischen Wahlkampf mehr zu polarisieren. Mehr als 200.000 Anhänger konnte er für seine Rede am historisch symbolträchtigen Place de la Bastille versammeln. Sarkozy und Hollande kamen bei ihren Auftritten in Paris auf je weniger als 100.000. Er nahm das Programm von Marine Le Pen wie kein anderer Kandidat auseinander und offenbarte ihre Schwächen, gleichzeitig stellte er seine Kontrahentin so sehr bloß, dass diese sich in einem Rededuell im französischen Fernsehen vor laufenden Kameras weigerte mit ihm weiter zu diskutieren. Moderatoren warf er bei unbequemen Fragen vor ihm nicht richtig zuzuhören, oder er beantwortete diese mit bissigem Sarkasmus.

Sein Programm lässt sich in drei Punkten zusammenfassen: Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen das internationalen Finanzsystem und für das Inkrafttreten einer neuen Verfassung. Seine Parolen wie „Lasst uns die Macht übernehmen“, oder „Platz für das Volk“ überzeugten die Wähler, die in einigen Départements mit 23% für ihn stimmten. Somit konnten zum ersten Mal seit 1981 wieder zwei Kandidaten der Linken auf ein Wahlergebnis von über 10% kommen. Damals war es der Kandidat der Kommunistischen Partei, die später eine Regierung mit den Sozialisten unter Mitterrand bildete.

Am Wahlabend zeigte sich Jean-Luc Mélenchon kämpferisch. Er habe recht behalten mit der Wichtigkeit seiner Kampagne gegen Marine Le Pen. Nun müsse die Linksfront ihren Weg fortsetzen und ihre gewonnene Macht gegen ein von Merkel und Sarkozy dominiertes Europa und für mehr Einkommensgleichheit einsetzen. Abschließend rief er seine Wähler auf sich für François Hollande zu mobilisieren, wie sie es für ihn getan hätten. Das Ende der Herrschaft des Regenten Sarkozy?

Nino Zebiri

Donnerstag, 12. April 2012

Afrika feiert Sambias Wiederauferstehung


Es war der 27.April 1993 als ein Flugzeug nahe Gabun in den atlantischen Ozean stürzte. Ein tragischer Unfall, der afrikaweit für Aufsehen sorgte. Denn an Bord befanden sich 18Nationalspieler Sambias und Verbandsfunktionäre auf dem Weg zum Auswärtsspiel im Senegal. In Libreville, der Hauptstadt Gabuns, wurde das Flugzeug noch aufgetankt und versank, nachdem ein Triebwerk Feuer fing, kurz darauf im Meer.

Am 12.Februar 2012 stand erneut Sambias Nationalmannschaft in jenem Libreville im Mittelpunkt: sie holte 19 Jahre nach dem "Gabon Air Disaster" erstmals den kontinentalen Titel. Der Sport schrieb schon immer seine eigenen Geschichten, aber diese ist definitiv einzigartig. Dabei ging Sambia als Underdog in das Turnier, schlug im Turnierverlauf die Favoriten Ghana (Halbfinale) und die Elfenbeinküste (Finale). Letztere in einem dramatischen Elfmeterschießen. Klingt nach einem kleinen Fußballwunder, sah aber ganz anders aus als Griechenlands Euro-Helden 2004. Ganz einfach zu sehen an einem kleinen Beispiel: es läuft das Elfmeterschießen im Finale -die Situation größter Anspannung und Nervosität. Die Spieler stehen - für gewöhnlich - unruhig am Mittelkreis und wissen nicht wohin mit sich. Sambias Spieler knieten im Mittelkreis, sangen Arm in Arm gemeinsam als ihr Mannschaftskollege zum alles entscheidenden Strafstoß anlief.

Kurz darauf singt ganz Sambia: Glaube, Gefühle und so etwas wie "Spirit" liegt in Afrika nicht nur beim Fußball in der Luft. Ihr Trainer Herve Renard, als Franzose eigentlich nicht besonders nah dran am afrikanischen Lebensgeist, trägt seinen verletzten Spieler Joseph Musonda zum Spielerkreis, der mal wieder in einen der rhythmischen Lieder ihrer Heimat vertieft ist und für das Wunder von Libreville dankt. Bilder, die nicht um die ganze Welt gehen, obwohl EuroSport das Duell live überträgt. Aber Afrika ist fernab und was dort passiert, sei es im Sport, der Kultur oder der Politik flimmert nur selten über die deutschen Fernseher.

Bestes Beispiel ist Finalgegner Elfenbeinküste. Im Frühjahr brauchte es ein halbes Jahr Mord und Totschlag, bis die Präsidentschaftswahl ein paar Zeilen am Rande des deutschen Blätterwaldes bekam. Währenddessen bangte man doch zu sehr mit den Ölvorkommen in Nordafrika und den beliebten Reisezielen am Nil und dem Mittelmeer. "Was scheren mich ein paar erschossene Farbige, wenn uns die Araber auf Lampedusa die (europäische) Tür einrennen?", so schien der Medien-Tenor zu lauten. Über so gut wie alle politischen Vorgänge Afrikas ist bestenfalls ein Dreizeiler in den größten Tageszeitungen zu finden, während jeder Schachzug bei der Kandidatenkür für die Präsidentschaftswahl der USA eine Sondersendung fordert. Dabei ist zum Beispiel Gabun, gemeinsam mit Äquatorialguinea Ausrichter des Afrika-Cups 2012, 1000km näher an Deutschland als Washington DC. Es leben mehr als doppelt so viele Afrikaner, knapp eine halbe Million, wie

US-Amerikaner in der Bundesrepublik.

Es scheint fast ein ganzer Kontinent verdammt dazu, mit Ignoranz des Westens gestraft zu werden und lediglich alle zwei Jahre zum African Cup of Nations seine Seele ein paar versprengten Fußballbegeisterten zu öffnen. Wir verpassen einen überaus lebendigen Kulturkreis. Wer doch etwas mehr als nur BBC-Dokumentationen der Serengeti erfahren will, muss in alternativen Programmen suchen. Seit Jahren sendet z.B. der freie, nicht kommerzielle Rundfunksender "Radio Frei" aus Erfurt aller zwei Wochen eine Sendung mit dem passenden Namen "African Spirit"; von Afrikanern für alle Interessierten.

Durch die Umstellung von gerade auf ungerade Jahre findet der nächste Afrika-Cup bereits 2013 in Südafrika statt. Und da bleibt genug Zeit bis zum 13.Januar, um mehr über unseren Nachbarkontinent zu erfahren. Denn Afrika ist nicht bloß "Waka, waka". Sambias Landeshauptstadt hat fast so viele Einwohner wie München, doch wer kennt hierzulande ihren Namen?



Aaron Thieme