Montag, 26. Mai 2014

Der nette Nachbar von nebenan



Sie sieht ja eigentlich ganz freundlich aus. Sie steht auf der Straße und geht offenherzig den Leuten entgegen, spricht ihnen Mut zu und verteilt Flyer. Marine Le Pen ist Vorsitzende der französischen Rechtsextremisten und Tochter jenes Jean-Marie Le Pen, der Gaskammern nur für ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs hält und der an die Ungleichheit der Rassen glaubt.

Er sei kein „Fremdenfeind, aber ein Franzosenfreund“, sagte er einmal. Ihre Partei, die „Front National“ (FN), hat, obwohl erst 1972 gegründet, ihre Wurzeln aus dem deutsch-französischen Vichy Regime, dass zwischen dem französischen Marschall Pétain und Hitler geschlossen wurde. Sie unterstützten Vorhaben die Kolonien zu erhalten und haben bis heute beste Beziehungen zur NPD und Pro Köln. Anders als die deutschen Kleinparteien ist die FN jedoch voll im französischen Parteiensystem integriert. 

Rückblende: 2002 standen die Präsidentschaftswahlen an. Frankreichs Wirtschaft boomt zu diesem Zeitpunkt nach 5 Jahren „Cohabitation“ mit einem konservativen Präsidenten Jacques Chirac und einem sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin. Das ganze Land erwartet ein Kopf an Kopf Rennen zwischen den beiden um das Präsidentenamt. Jospin ist überzeugt mit seinen Wirtschaftszahlen und einem freundlichen Lächeln die Wahlen für sich entscheiden zu können. Er sollte sich jedoch täuschen. Es kommt zu einer Protestwahl aufgrund der starrsinnigen EU Politik der Koalition und anstatt Jospin, befindet sich Le Pen in der Stichwahl gegen Chirac, die dieser allerdings klar gewinnen konnte. Dennoch waren die 16% für Le Pen mehr als ein Ausrufezeichen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Landes.

Zu diesem einen Protest wird es wohl bei der nächsten Wahl voraussichtlich nicht kommen. Wie kann es jedoch sein, dass eine Partei, die sich offen zum Nationalismus und Xenophobie bekennt überhaupt die 5%-Hürde überschreitet? Offenbar liegt es an der Geschichte Frankreichs, eines der größten Agrarproduzenten Europas. Folglich hat das Land viele Landwirte, die fernab von jeglicher Globalisierung ihr täglich Brot verdienen. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU die seit 1962 Produktionssenkungen in der Landwirtschaft vorsieht traf die französischen Landwirte deshalb besonders. Die Hochburgen der EU-kritischen FN befinden sich deswegen auch in den eher ländlichen Gebieten der Provence und im Nord-Osten, eines der ärmsten Regionen Frankreichs.

Während Le Pen noch 1995 die Ausbürgerung von 3 Millionen Nicht-Europäern forderte, schlägt seine Partei heute einen gemäßigteren Ton an. Marine Le Pen versucht nach dem österreichischen Modell von Jörg Haider (der 1999 27% auf die rechtsextreme FPÖ vereinen konnte) die FN zu entdiabolisieren und mit Sozialpolitik bei enttäuschten Sozialdemokraten zu punkten. Die Stimmen der Konservativen hat sie schon: 50% aus dem Lager der regierenden UMP stimmt mit ihren Ideen überein.

Dabei zeigt sie immer wieder, dass sie auch einen ganz anderen Ton anschlagen kann, um ihrer Rolle als Tochter von Jean-Marie Le Pen gerecht zu werden: Ende 2010 warf sie Muslimen vor, dass mit ihren Gebeten auf der Straße, französisches Territorium besetzen werden würde. Das sie damit ankommt zeigen nicht nur die Umfragen, sondern auch die Wahlergebnisse. Bei den letzten Regionalwahlen konnte die FN 10% erreichen. Es sei doch eben ganz „normal“ seine Stimme der FN zu geben, sagt ein Großteil der Franzosen. Genauso „normal“ wie man eben konservativ oder sozialdemokratisch wählt.

Ebenfalls gleichgültig scheinen den Ungarn die neusten Entwicklungen ihres politischen Systems zu sein. Mit der absoluten Mehrheit im Rücken und von einer 15% starken faschistischen Partei (Jobbik) unterstützt, regieren die Ultrakonservativen um Präsident Viktor Orbán nach Lust und Laune. Zunächst wird die Pressefreiheit eingeschränkt, nun soll mit einem Notstandsgesetz die Verfassung ausgehebelt werden. Das würde endgültig die noch junge Demokratie der Ungarn zerstören. Ähnlich wie es die Pfeilkreuzerpartei 1944 nach der deutschen Besetzung Ungarns tat.

Im Gegensatz zu den westlichen Rechtsextremisten, die ihren Zuspruch und die zunehmende Angst vor Globalisierung und Überfremdung bekommt, ist es in Ungarn die Enttäuschung über die demokratischen Kräfte und die nostalgische Sehnsucht nach einem Nationalstaat im Sinne Österreich-Ungarns. Generell muss man heutzutage „Le Monde Diplomatique“ zufolge zwischen 3 rechten Parteitypen unterscheiden: die nostalgischen Neofaschisten (Ungarn), die Anti-System Parteien (Frankreich) und die „plötzlich auftauchenden“ Parteien (Niederlande). Der Aufschwung solcher Parteien liegt wohl hauptsächlich an der Angst, dass der Wohlstand, der heute erreicht wurde, morgen weg sein könnte, gemischt mit einer Unverbrauchtheit nationalistischer Parteien und Provokationen von Islamisten. Es liegt aber auch an der „Erstarrung“ demokratischer Kräfte im Angesicht der wiedererstarkten Rechten. Rechtsextrem: das ist heute nicht mehr Hitler, sondern der nette Nachbar von nebenan.

Nino Zebiri