Dienstag, 21. Februar 2012

Wulff weg, Gauck da - und jetzt?

66 Tage hat es gedauert bis Christian Wulff endlich den Platz geräumt hat. Endlich? Über 2 Monate durfte man sich anhören, welch infame und schwerwiegende Verfehlungen unser Staatsoberhaupt sich geleistet hat. Auch wenn investigative ZDF-Größen wie Bettina Schausten immer noch entsetzt sind, wieso man seine Freunde, ohne 150€ inklusive Rechnung, bei sich übernachten lassen kann, fragt man sich, wie man über 2 Monate über so ein banales Thema wie Wulff und seine Finanzen berichten kann.

Euro-Krise und antideutsche Proteste in Griechenland sind auf einmal ganz weit weg. Selbst ein gestrandetes Kreuzfahrtschiff reißt 2012 mehr Leute vom Hocker, während in Haiti 26 Menschen unbemerkt unter viel tragischeren Umständen ums Leben kommen. Haiti ist eben auch weit, weit weg. Selbst Talkshow-Größen wie Maybrit Illner schien es langsam peinlich zu sein am Donnerstagabend mal wieder eine Runde, mit den stets gleichen Meinungen, mit dem altbewährten Thema zu eröffnen. Doch 2 Monate Wulff-Bashing war medial wieder eine große Fußball-WM - Fokussierung der Masse auf eine Nebensächlichkeit. Allerdings ist eines der größten Sportveranstaltungen der Welt gegen Wulffs Bobby-Car-Skandale vergleichsweise berichtenswert.

Nun soll es Joachim Gauck also richten, der nicht wegen seiner persönlichen Qualitäten mittlerweile Kandidat (fast) aller Parteien ist. Stattdessen nutzt man die Nominierung des Bundespräsis, um die eigene Stellung im Bundestag bzw. der nächsten Wahl zu festigen. Ein größeres Armutszeugnis hätte Burgwedels Baumeister seinem ehemaligem Amt nie ausstellen können.

Wie lange wird es Gauck nun machen? Falls er sich, wie einst Wulff, aufs Glatteis begibt und den Islam tatsächlich als Bestandteil Deutschlands integrieren will, liegt wohl Plan B schon in der Tasche. Dann werden seine positiven Äußerungen über Sarrazin oder die Fehlinformationen seiner Stasi-Behörde gegenüber dem deutschen Bundestag anno 1997 wieder für 2 Monate Zündstoff sorgen.

Schade, dass es andere Personen nicht in der Form in den Medienrummel geschafft haben: Gerhard Schröders Beziehungen zu seinem Förderer Maschmeyer blieben zu seinen Amtszeiten ebenso unangetastet wie aktuell Merkels Stasi-Vergangenheit, bzw. die Achse von Lothar de Maziere zur Kanzlerin und seinem Sohn bzw. ihrem Verteidigungsminister. Selbst ihre allgemein bekannte Vergangenheit als "FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda" verblasst, gegen ein paar vorteilhafte Kredite des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten.

In jedem Fall würde auch ich gerne einmal Kai Diekmann auf die Mailbox sprechen, würde es aber nicht bei ein paar Empfehlungen für die morgige Ausgabe seines Käseblättchens belassen.

Aaron Thieme

Dienstag, 7. Februar 2012

Bart oder Uniform

Ein Jahr nach dem Sturz von Husni Mubarak steht Ägypten zwischen Gottesstaat und Militärdiktatur

Es sollte der große Wandel in Ägypten werden – zum ersten Mal in der Geschichte des durch Königen und Militärherrschern ausgebeuteten Landes fanden zwischen dem 28. November und 10. Januar freie Wahlen statt. Hoffnung auf einen demokratischen Wandel keimte in der Bevölkerung nach dem Arabischen Frühling auf. Nachdem sich jedoch die Umfrageergebnisse bewahrheiteten kehrte bei den Liberalen, die die Revolution angeführt hat, wieder Ernüchterung ein; blieben ihre Vertreter doch unter zehn Prozent. Die Mehrheit hingegen konnte die in der Revolution abwesende ehemalige Opposition der Muslimbruderschaft (Freiheits-und Gerechtigkeitspartei) mit 38% hinter sich wissen. Ebenfalls großen Rückhalt genießt die radikalislamistische Partei des Lichts (30%). Die religiösen Parteien stellen nun in der Zeit nach Mubaraks nationaldemokratischen Militärs die Mehrheit im Parlament.

Doch wie lässt es sich erklären, dass bei jeglichen freien Wahlen in der muslimischen Welt Islamisten die Mehrheit erringen? 1979 stimmte im Iran die Bevölkerung bei einer Volksabstimmung für eine theokratische Verfassung und 1992 löste der sich abzeichnende Wahlsieg der Islamischen Heilsfront bei den ersten freien Wahlen in Algerien gar einen so blutigen Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Militärs aus, dass es heute kaum noch Stimmen gegen die aktuelle Militärregierung gibt. Kann sich Geschichte wiederholen?

Es ist unbestritten, dass in diesen Staaten die Religion in allen Lebensbereichen eine große Rolle spielen. Deshalb ist es in der Politik für Islamisten einfach, gewählt zu werden - unabhängig von ihrem Programm. Ihre politischen Ziele werden, da es sich um Islamistische Parteien handelt, in Einklang mit der Schari‘a gesehen, was nicht immer der Fall ist. Korruptionsaffären werden den „Brüdern“ vergeben. Besonders in ländlichen Gegenden mit niedrigem Bildungsstand, wo 60% der ägyptischen Bevölkerung leben, werden sie vom Volk als Religionsvertreter in der Politik gesehen und ihr humanitäres Engagement geschätzt. Das hohe Stammwählerpotential der Islamisten ist in etwa mit dem konservativer Parteien in Europa vergleichbar, wenn auch aus anderen Gründen.

Die jüngsten Ereignisse in Ägypten zeigen jedoch auch, dass das Militär noch immer Macht in Ägypten besitzt und, wie einst in Algerien, hart durchgreift. Demonstranten auf dem Hariri Platz werden von Einheiten des Militärrates niedergeknüppelt und nach einem Fußballspiel in Port Said kam es zu Gewalttaten gegen die liberalen Anhänger des Vereins Al-Ahli Kairo mit über 70 Opfern.

Es ist zudem unbestritten, dass Militärregierungen in der westlichen Welt als geringeres Übel gesehen und deshalb finanziell unterstützt werden. Mubarak schloss Frieden mit Israel, Präsident Bouteflika erlaubt dem amerikanischen Konzern Exxon Ölbohrungen in Algerien und der ehemalige tunesische Präsident Ben Ali unterhielt gute Beziehungen zur CIA.

Aufgrund der Stärke dieser beiden Politikströmungen musste die Hoffnung auf einen historischen Wahlsieg liberaler Kräfte und einer Demokratisierung eines arabischen Staates ein weiteres Mal begraben werden. So bleibt nur die Wahl zwischen demokratisch gewählten Bärten oder pro-westlichen Uniformen.

Nino Zebiri