Sonntag, 6. Mai 2012

Sport im Krisenherd? Differenzierung notwendig!


Die EU-Kommission um José Manuel Barroso hat ihren EM-Boykott bereits bekannt gegeben, deutsche Politiker behalten sich nach wie vor zumindest dessen Androhung vor. Die Haftbedingungen der früheren ukrainischen Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko erregen momentan die politischen wie medialen Gemüter, der inhaftierten Oppositionsführerin wird eine Aufmerksamkeit geschenkt, die sie – da sind sich selbst die Protestierenden einig – ohne die Fußball-EM keinesfalls bekäme. Menschenrechtsverletzungen geschehen nach wie vor bei weitem nicht nur in der Ukraine, für unsere westliche Welt scheinen sie aber lediglich dann in den Fokus zu rücken, wenn gerade ein großes Sportereignis im betreffenden Land stattfindet.

Es ist jedoch eine Differenzierung notwendig: Es gibt Fälle, in denen diktatorische Machthaber den Sport instrumentalisieren und zu Propagandazwecken einsetzen – historisch bestes Beispiel ist Olympia 1936, aus der jüngeren Vergangenheit ist das Formel 1 Rennen in Bahrain zu nennen. Die Situation in der Ukraine hat einen anderen Kontext. Die Europameisterschaft und die Vorgänge um Tymoschenko scheinen sich eher aus Zufall zu überschneiden, es drängt sich der Anschein auf, als sei Präsident Janukowytsch das turnierbedingte Augenmerk ganz und gar nicht recht. Insofern bewerte ich es durchaus positiv, dass durch das Sportereignis ein kritischer Blick auf die Situation in diesem Land geworfen wird – im Gegensatz zur Formel 1 in Bahrain, die sich zum Propagandawerkzeug des regierenden Monarchen hat stilisieren lassen.
Ob die mediale/politische Aufmerksamkeit und Boykottankündigen allerdings wirklich positiven Einfluss auf die ukrainische Diktatur nehmen wird, ist eine andere Frage. Und warum die öffentliche Wahrnehmung von Menschenrechtsverletzungen so häufig vom Sport gelenkt werden muss, ebenso.


Benjamin Schaller

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen