Die
EU-Kommission um José Manuel Barroso hat ihren EM-Boykott bereits
bekannt gegeben, deutsche Politiker behalten sich nach wie vor
zumindest dessen Androhung vor. Die Haftbedingungen der früheren
ukrainischen Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko erregen momentan
die politischen wie medialen Gemüter, der inhaftierten
Oppositionsführerin wird eine Aufmerksamkeit geschenkt, die sie –
da sind sich selbst die Protestierenden einig – ohne die Fußball-EM
keinesfalls bekäme. Menschenrechtsverletzungen geschehen nach wie
vor bei weitem nicht nur in der Ukraine, für unsere westliche Welt
scheinen sie aber lediglich dann in den Fokus zu rücken, wenn gerade
ein großes Sportereignis im betreffenden Land stattfindet.
Es
ist jedoch eine Differenzierung notwendig: Es gibt Fälle, in denen
diktatorische Machthaber den Sport instrumentalisieren und zu
Propagandazwecken einsetzen – historisch bestes Beispiel ist
Olympia 1936, aus der jüngeren Vergangenheit ist das Formel 1 Rennen
in Bahrain zu nennen. Die Situation in der Ukraine hat einen anderen
Kontext. Die Europameisterschaft und die Vorgänge um Tymoschenko
scheinen sich eher aus Zufall zu überschneiden, es drängt sich der
Anschein auf, als sei Präsident Janukowytsch das turnierbedingte
Augenmerk ganz und gar nicht recht. Insofern bewerte ich es durchaus
positiv, dass durch das Sportereignis ein kritischer Blick auf die
Situation in diesem Land geworfen wird – im Gegensatz zur Formel 1
in Bahrain, die sich zum Propagandawerkzeug des regierenden Monarchen
hat stilisieren lassen.
Ob
die mediale/politische Aufmerksamkeit und Boykottankündigen
allerdings wirklich positiven Einfluss auf die ukrainische Diktatur
nehmen wird, ist eine andere Frage. Und warum die öffentliche
Wahrnehmung von Menschenrechtsverletzungen so häufig vom Sport
gelenkt werden muss, ebenso.
Benjamin Schaller
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